30.12.2003

Senioren-Hilfe zum Jahresende 2003, mit guten Wünschen für 2004

„Fast heitere“ Beobachtungen im Pflegeheim

„Na mein Schatz, wie geht es Dir?“ – jedes Mal dieselbe Begrüssung – und Besuch einer Cousine – ich mache fast alles noch selbst –

(Es gehört schon eine Portion Idealismus, Engagement, Können und Wissen dazu, sich um die betagten Menschen im Heim, zu deren und zur eigenen „Zufriedenheit“ zu kümmern! Ich meine die Pflegekräfte.)

Eine alte Dame, eher vom Typ eines etwas herben Charakters, begrüsst mich bei jedem Besuch mit diesem Satz. Mit einer lieblichen, zugeneigten Stimme, ein wenig krächzend. Sie hat immer ein paar Hustenbonbons dabei und will mir eines schenken. Der Grund der Annäherung mit dem netten Satz ist einfach erklärt. Das schwindende Augenlicht „zwingt“ diese Seniorin, Aufmerksamkeit zu bekommen. Der schleppende, schlürfende Gang, fast wie ein Seemann, unterstreicht mit einem festen Händedruck die Eigenschaft dieser Person. Ich empfinde alles als nicht unangenehm, eher manchmal „lästig“. Immer das gleiche Ritual, auch zu nicht passenden Gelegenheiten, etwa bei einer Besprechung in größerem Kreis. Aber ich sollte ihr dieses Auftreten nicht übel nehmen. Ich zwinge mich zu einer „passenden“ Antwort, immer freundlich, wenn’s auch schwerfällt.

Auf dieser Pflegestation ebenerdig, mit einem umbauten, begrünten Innenhof, können sich die Bewohner ungestört und ohne Aufsicht bewegen. Es sind genügend Verweilplätze vorhanden. Oft gehen diese Menschen in Zweiergruppen, Hand in Hand oder die Arme gegenseitig eingehängt. Viel gesprochen wird nicht. Manchmal höre ich unbegreifliche Laute oder ein leichtes Stöhnen. Mehr auch nicht. In der großen „Wohnstube“ sitzen einige Bewohner und starren vor sich hin. Sie bemerken es, wenn jemand den Raum unerwartet betritt. Einige sind in sich versunken – in Gedanken? -, ich kann’s mir nicht erklären. Manche sitzen im Rollstuhl, unbeweglich. Andere wieder den Kopf auf dem Tisch, als ob sie schliefen. Sobald sich unsere Blicke treffen, entweder ein Lächeln oder auch ein grimmiges, fast abweisendes Gesicht. Sie wissen nichts mit mir anzufangen. Ich meine, jeden Tag unbekannter zu werden. Im Hintergrund leise Musik aus dem Radio. Das gespülte Geschirr aus der Heimküche wird aufgeräumt. Da entsteht etwas Lärm und Klappern. Niemand stört es. Eine Frau versucht mit einer Hand immer wieder ihren Latz zusammen zu falten. Mit flacher Hand streicht sie über den Stoff, sie will noch mehr „Wäsche“ in Ordnung bringen und „glatt bügeln“. Vielleicht war sie es von früher her zu Hause so gewohnt.

In einem anderen Wohnbereich ist eine über 85-jährige Dame, wohl beleibt. Sie hat zu wenig Bewegung und trinkt auch gerade das Nötigste. Äußerlich macht sie einen „klaren“ Eindruck. Aber sie ist verwirrt. Es kommt eine Verwandte zu Besuch, eine freudige Begrüssung, sogar mit Namen. Während des Weges in ihr eigenes Zimmer meint sie, „weißt Du, ich mache ja fast alles noch selbst, damit ich niemand zur Last falle“. Mir stockt fast der Atem. Kein Wort ist davon „wahr“. Die Pflegekräfte haben viel Mühe, dass sich die Frau morgens im Bad noch „einigermaßen“ selbst wäscht oder auch ankleidet. Die Cousine wirft mir einen Blick zu, sie hat es verstanden. Wir beide machen das „Spiel“ soweit mit. Im Zimmer angekommen, beginnen wir ein Gespäch.

Die Cousine war schon vor einiger Zeit zu Besuch da, wovon ich nichts wusste. Außer den herumliegenden, leeren Packpapieren auf dem Tisch, konnte ich nur erahnen, dass der Inhalt vom Besuch sein musste. Sie hatte eine neue Batterie für eine Uhr besorgt. Schnell installiert, jedoch die Uhr tickte nicht. Alle gekauften Armbanduhren (mit Batterie) versucht die Dame immer wieder aufzuziehen, sodaß schnell ein irreparabler Schaden entsteht. Es gibt halt keine Uhren „ohne Aufzieherchen“.

Auch hat der Besuch eine reparierte Hose mitgebracht. Ich machte auf die im Hause vorhandene Nähstube aufmerksam, die immer donnerstags mit ehrenamtlich Tätigen besetzt ist, um solche Arbeiten für die Bewohner zu erledigen. Meine zu Betreuende überspielt meine Äußerung „genial“. Sie weiß halt alles nicht mehr. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist „verloren“ gegangen. Der Besuch fragt mich, nachdem auf dem Tisch viele alte Illustrierten liegen, ob denn die alte Dame noch Kreuzworträtsel mache. Ich antwortete: natürlich, jedes. Nach über fünfjährigem Heimaufenthalt hat meine Seniorin keinen einzigen Buchstaben in ein Rätsel geschrieben. Auf meine Frage, was es denn heute zum Mittagessen gegeben hätte, druckste die alte Dame herum und meinte, daran könne sie sich jetzt tatsächlich nicht mehr erinnern………

Ich verabschiedete mich beim Besuch und meiner zu Betreuenden, mit den besten Wünschen bis zum nächsten Mal.

So komme ich „fast“ täglich ins Pflegeheim und meine alte Dame äußert anderen Leuten gegenüber immer wieder: „Der kümmert sich nicht um mich und kommt fast nie“! Ich schlucke es runter, weil ich weiss, um welche(n) Menschen es sich handelt.

Fazit: Betreuer sind für solche „Aufgaben bestellt“, ganz gleich „wer sie sind“.

Irgendwo steht, es sei jedes Bürgers Pflicht 1 Ehrenamt zu übernehmen. Ob das wohl noch stimmt?

(F.W. – ehrenamtlicher Betreuer, seit 1996)