Das peinliche Wort „Alter“

FW [AW] am 17. Mai 2007

03.06.2003

Textübernahme mit freundlicher Genehmigung von „SONNTAG AKTUELL“ Nr. 22 vom 01. Juni 2003 (Die siebte Ausgabe Ihrer Zeitung – Stuttgarter Zeitung -)

DIE ANDERE MEINUNG – Kolumne von Frau Ursula Ott – Bildunterschrift: „Die lebenserfahrenen Alten lassen sich von ein paar unerfahrenen Jungen den Lebensstil aufzwingen. Schwer zu begreifen, meint Ursula Ott.“

Das peinliche Wort „Alter“

Neulich beim Sonntagsspaziergang im Bergischen Land. Wir standen plötzlich vor einem wunderschön umgebauten Schloss, es hätte ein Hotel sein können. Oder ein Sanatorium? Neugierig lasen wir die mit Goldlettern verzierten Informationstafeln am Eingang, aber sie machten uns nicht schlauer. Von einem „Service-Wohnkonzept“ war da die Rede, von „Sicherheit in allen Lebenssituationen“ inklusive eines „Gesundheitsdiensts“. Erst am Schluss stand verschämt die Zielgruppe für diese geheimnisvolle Luxusresidenz: die „Generation 50+“. Es war schlicht und ergreifend ein Altersheim mit Pflegeabteilung.

Aber das Wort Alter wurde peinlich vermieden, es muss den Werbetexter alle Anstrengung gekostet haben, sich um den Klartext herumzumogeln. Auch „Senioren“ ist ein Wort, das aus der Produktsprache verbannt wurde. Bequeme, höhenverstellbare Betten, die früher unter der Kategorie „Seniorenbett“ liefen, wurden in „Komfortbetten“ umgetauft. Und ganze Kosmetikserien, die früher als „Pflegeprodukte“ liefen, werden neuerdings in „Wellnessprodukte“ umbenannt. Bloß nicht das Wort Pflege, das erinnert an Älterwerden, Schwäche und bankrotte Pflegeversicherung.
Es ist schon grotesk. Gerade jetzt, wo die Alten in der Mehrheit sind, wollen sie nicht mehr so genannt werden. 1950 lebten in Deutschland etwa doppelt so viele Menschen unter 20 wie über 59 Jahren. Im Jahr 2030 wird sich das Verhältnis exakt umgekehrt haben: doppelt so viele Ältere wie Junge. „Wir sind die Mehrheit“, winkt mir jeden Morgen aus dem Schaufenster des SPD-Ortsvereins in meiner Straße ein Plakat mit einem fröhlichen Opa zu. Stimmt – aber warum versteckt ihr euch dann?

Die Alten – sorry, ich bleibe bei dem Wort – hätten doch allen Grund zum Selbstbewusstsein. Sie haben so viel Wachstum erwirtschaftet wie keine Generation vor ihnen und, wie es aussieht, so schnell keine nach ihnen. Jeder zweite westdeutsche Rentner wohnt in einer eigenen Immobilie. Sie sind so gesund und fit wie keine Altengeneration vor ihnen. Sie entscheiden längst die Politik: Keine Partei braucht sich wahnsinnig anstrengen, um die Belange der Jugendlichen zu bedienen. Von denen gibt’s erstens wenig, und zweitens gehen sie nur selten zur Wahl. Kein Wunder, dass sich keine Partei traut, den Rentnern ernsthafte Opfer abzuverlangen.

Und vor allem sind sie längst eine Wirtschaftsmacht, ein „Silver Market“, der von der Wirtschaft seit geraumer Zeit erkannt und minutiös durchleuchtet wird: Fast die Hälfte der gesamten Kaufkraft der Erwachsenen in Deutschland liegt in der Hand der Alten: jeden Monat rund zehn Milliarden Euro. Das wissen die Unternehmen – aber sie werben nur ganz verschämt für ihre „Master Konsumenten“. So druckt der Otto-Versand zwar einen speziellen Katalog mit größerer Schrift und Mode für die ältere Kundin, nennt ihn aber vorsichtshalber „Fair Lady“. Und der 48-jährige Chef der Werbeagentur Jung von Matt, Holger Jung, gibt zu, dass er nie eine Jeans kaufen würde, die speziell für seine Altersgruppe geschneidert wurde. „Ich kenne keinen, der seinen unausweichlichen Verfall auch noch auf die Stulle geschmiert bekommen will.“ Schön blöd. Was ist die Alternative? Die mühsam zusammengeschuftete Kaufkraft in Anti-Aging Produkte investieren? Viele Euro ausgeben für Lifting, Hormoncremes und alberne HipHop-Jeans? Diese lebenserfahrene, wirtschaftlich potente Mehrheit lässt sich den Lebensstil aufzwingen von den paar unerfahrenen Jungen? Schwer zu begreifen.
Schon hat die Werbeszene eine neue Vokabel kreiert, um das peinliche A-Wort zu umgehen: die „No-Agers“. Damit löst sich eine ganze Generation endgültig in Luft auf. Bloß: Indem man das Alter begrifflich abgeschafft hat, wird man ja keineswegs unsterblich. Je älter wir werden, desto mehr Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer wird es geben. Man kann natürlich das Pflegepersonal in Komfortpersonal umtaufen. Bloß komfortabler wird das Altern dadurch nicht. Also doch lieber beim Namen nennen – es bleibt uns ja doch nicht erspart.

Meinung „Senioren-Hilfe“: Deutlich,…..und auch noch wahr! Eine riesige „Altersgruppe“, bei welchen es vielen gut geht, von der andere sicherlich trefflich davon leben, nur Betroffene oft selbst nicht mehr……man hat sie einfach vergessen…..und keiner kümmert sich darum.